Kultur als politisches Werkzeug, das ist der Gedanke hinter dem »Büro für Offensivkultur«, einem bundesweiten Netzwerk für Demokratie und Menschlichkeit.
Ein Beispiel: Hätte es das Büro bereits im September 2016 gegeben, als dem Ortsvorsteher des schleswig-holsteinischen Örtchens Oersdorf von rechten Gewalttätern aufgelauert und er von hinten mit einem Knüppel niedergeschlagen wurde, wäre das Netzwerk zum Einsatz gekommen. »Die Situation dort ist immer noch die gleiche, es ist nicht viel passiert, denn der öffentliche Aufschrei nach dem Angriff ist relativ schnell verpufft. Dort wären wir hingekommen, sozusagen als Notfallagentur, um so etwas wie ein kleines Festival auf die Beine zu stellen, damit sich die Menschen vor Ort hätten solidarisieren können«, erklärt der Kieler Musiker Heinz Ratz, der gemeinsam mit dem Liedermacher Konstantin Wecker die Idee für die Initiative hatte.
Besonders im ländlichen Raum sei es oft schwierig, größere, öffentlichkeitswirksame Aktionen auf die Beine zu stellen.
»In einigen Regionen in Deutschland ist die Politik ganz schön in die Defensive geraten. Die Kraft muss daher aus der Kultur kommen«, erklärt Ratz.
Kulturelle Schutztruppe
Ihm kam daher die Idee des Büros für Offensivkultur als offenes Bündnis sozial und politisch engagierter Menschen, das spontan und deutschlandweit als eine »kleine, kulturelle Schutztruppe für die demokratische Idee« einsetzbar ist und in kürzester Zeit agieren soll.
Es muss dabei nicht nur um rechte Gewalt gehen, auch bei Umweltsünden oder Ähnlichem kann das Büro eingeschaltet werden. Bereits jetzt gibt es eine ganze Reihe Künstler, die ihre Solidarität bekundet haben und für das Büro für Offensivkultur auftreten wollen, darunter Sarah Connor, Konstantin Wecker, Bodo Wartke, Ingo Pohlmann und Selig-Frontmann Jan Plewka.
Musiker alleine reichen allerdings noch nicht aus. Um ein Festival zu veranstalten, müssen Bühnen aufgebaut werden, es werden Tontechniker und Securityleute benötigt, Schlafplätze werden gebraucht und es muss im Vorfeld Werbung gemacht werden. Es soll daher ein bundesweites Netzwerk mit einer großen Kartei geschaffen werden, damit im Notfall schnell genügend Freiwillige in all diesen Bereichen akquiriert werden können. „Ich will die Leute in die Verantwortung nehmen für die Demokratie“, sagt Ratz.
Soziale Verhärtung
Wie viele Kilometer der Liedermacher für seine Konzerte in den letzten Jahren in Deutschland zurückgelegt hat und mit wie vielen Menschen aller Herkunftsländer er sich ausgetauscht und Musik gemacht hat, ist unmöglich zu sagen. Genug jedenfalls, um während dieser Zeit eine zunehmende soziale Verhärtung der Gesellschaft festzustellen.
Aktuell ist Ratz mit seiner Band Strom & Wasser gemeinsam mit zahlreichen befreundeten Gastkünstlern auf Tour durch Deutschland, um auf die Initiative aufmerksam zu machen. »Wir haben mittlerweile keine soziale Gesellschaft mehr. Die Menschen leiden unter Burnout, Sozialarbeiter und Krankenpfleger werden wegrationalisiert.
Und auch im Alltag wird der Ton härter. Wenn ich in der Bäckerei in Kiel bin und drei ältere Männer sagen höre »Türken, das sind doch die letzten lebenden Primaten« und die eine Hälfte der Leute lacht und die andere Hälfte sagt gar nichts, dann ist das eine erschreckende Entwicklung. Das hätten die drei vielleicht früher in der Kneipe gesagt, aber nicht in der Öffentlichkeit. Mittlerweile werden solche Aussagen aber akzeptiert«, so Ratz.
»Wir leben in einer Welt, die still und heimlich über die Jahre eine Gesellschaft von Egoisten ausgebildet hat.«
Heinz Ratz, Musiker, Schriftsteller und Aktivist
Für Ratz, der für seine Arbeit mit Flüchtlings-Musikern mit der Integrationsmedaille der Bundesregierung ausgezeichnet wurde, ist diese Entwicklung ein schleichender Prozess, der im Aufkommen von Pediga und AfD vorläufig gipfelte und sich weiter fortsetzt.
»Wir leben in einer Welt, die still und heimlich über die Jahre eine Gesellschaft von Egoisten ausgebildet hat. Leute wollen immer mehr kaufen, es ist ihnen wichtig ein tolles Auto und einen tollen Vorgarten zu besitzen und jeder ist nur auf seine eigenen Vorteile bedacht«, erklärt Ratz.
»Dann wurde ihnen plötzlich das Gefühl vermittelt, dass diese Vorteile in Gefahr seien. Durch Konkurrenz, beispielsweise von neuen Menschen, die zu uns kommen», sagt Ratz weiter. Zeitgleich werde die Not von anderen systematisch ausgeblendet.
Für Ratz ist dies kein Zukunftsszenario, sondern bereits Realität. »Wenn bei den Menschen mehr Emotionen durch einen Kinofilm wachgerufen werden, als durch die Nachrichten, dann ist diese soziale Härte schon längst da«, erklärt der Musiker.
Über Heinz Ratz
– Der Musiker, Schriftsteller und Aktivist Heinz Ratz wurde 1968 als Sohn einer peruanischen Indianerin und eines Deutschen in Bonn geboren.
– Während seiner Kindheit und Jugend zog Ratz mit seiner Familie 44 mal um und lebte unter Anderem in Saudi-Arabien, Jordanien, Peru, Argentinien und der Schweiz. Mittler- weile wohnt er in Kiel.
– 2002 gründete Ratz seine Band Strom & Wasser, mit der er in wechselnder Besetzung auf Tour ist. Die Band spielt einen bunten Mix aus Rock, Ska, Punk, Polka, Walzer und Reggae.
– Im Rahmen eines drei Jahre andauernden »Moralischen Triathlon«, lief Ratz 1000 Kilometer durch Deutschland, um Geld für Obdachlose zu sammeln, schwamm 800 Kilometer von Konzert zu Konzert, um auf die Verschmutzung der Flüsse aufmerksam zu machen und radelte im dritten Jahr insgesamt 7000 Kilometer von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim, um dort mit Musikern aus aller Welt Musik zu machen.
– Aus dem Moralischen Triathlon resultierte das Projekt Strom und Wasser feat. Refugees, für das Ratz mit verschiedenen Flüchtlingsmusikern zwei Alben aufnahm und zahlreiche Konzerte spielte
– Neben dem Büro für Offensivkultur ist Ratz momentan damit beschäftigt, zehn Alben in zehn Ländern aufzunehmen, jeweils mit Musikern aus dem jeweiligen Land, um so ein musikalisches Bild Europas zu zeichnen, darunter Spanien, Russland, Albanien und Island.
Mehr Infos über das Büro für Offensivkultur gibt es hier.
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(Old School in gedruckter Form erschien der Artikel am Sonnabend, dem 24. März 2017 in der Flensborg Avis)