Fez
Wenn ich dachte, dass Marrakesch die wohl chaotischste Stadt der Welt sei, müsste für Fez ein völlig neuer Superlativ geschaffen werden.
Doch von vorne:
Mein Hotel zu finden war kein Problem, da ich mir, wie immer, gar keins rausgesucht hatte, sondern stattdessen darauf vertraute, dass die Hoteliers mir diesen Job abnehmen.
Und tatsächlich: ich bin gerade dabei, meinen Koffer aus der Abseite des Busses zu pflücken, als ein breit grinsender, nett aussehender Mann auf mich zukommt.
„You want cheap hotel?“
Klar will ich cheap Hotel, woraufhin er mir signalisiert ihm zu folgen.
Er zieht mich mitten hinein ins Chaos. Die Straßen der Altstadt sind bis zum Bersten gefüllt. Teppichhändler verhökern ihre Waren an Touristen, Einheimische feilschen um Lebensmittel, an Eisenhaken hängen abgeschnittene Kamelköpfe, vermutlich als Suppenbeilage und mittendrin in diesem Getümmel laufen Esel und flattern verschreckte Hühner, denen Mensch oder Esel aus Versehen auf die Schwanzfedern getreten ist.
Es ist bereits Abend und die Fahrt nach Fez war lang und unbequem. Trotzdem bin ich plötzlich hellwach, die Reizüberflutung durch den Wahnsinn, der sich um mich herum abspielt, lässt Adrenalin in meine Blutbahn schießen.
Irgendwann kommen wir an einem Haus an, auf dessen Wand mit verwitterten Buchstaben „Hotel“ geschrieben steht.
Ich schmeiße meinen Koffer aufs Bett und beschließe, mich sofort wieder ins Getümmel zu stürzen, bevor der Adrenalinrausch nachlässt, die Müdigkeit einsetzt und ich gar nicht mehr rauskomme.
Da ich mich als Folge meiner Lebensmittelvergiftung die letzten Tage überwiegend von trockenem Brot und Tee ernährt habe, wirken die Gerüche die von überall her auf mich zuzuströmen scheinen, wie ein Aphrodisiakum für meinen lädierten Magen, der mir nur eins signalisiert: essen!
Nachdem mein Körper in den vergangenen Tagen aus sämtlichen Körperöffnungen mehr Nährstoffe abgestoßen hat, als er jemals hätte aufnehmen können, schreit er jetzt danach dieses Versäumnis nachzuholen. Und zwar so schnell wie möglich, so viel wie möglich.
Ich gebe dem Drang nach und drängle mich durch die erste Traube Menschen die mir begegnet, in Richtung einer wohlriechenden Dampfwolke, die aus ihrer Mitte emporsteigt. Ich muss kurz an den Straßenstand denken, der mir zum Magen des Terrors verholfen hat, doch schüttle den Gedanken schnell wieder ab.
Durch eine schlechte Erfahrung, lasse ich mir nicht die tausend guten kaputtmachen, die mich noch auf den Straßen dieser Welt erwarten.
Ich begutachte noch einmal kurz das frisch erworbene Shish Kebab, das ich in meiner Hand halte und versuche die Stimme in meinem Hinterkopf zu beruhigen, die „LEBENSMITTELVERGIFTUNG!“ in einer alarmierenden Lautstärke schreit.
Sieht gut aus, zumindest nicht nach Hoden (siehe Teil 5). Irgendwas Fleischiges. Tierart ist mir gerade relativ egal, riecht geil!
Genussvoll und ein wenig trotzig beiße ich in die erste wirkliche Nahrung seit Tagen . Bereits der erste Bissen ist eine Offenbarung und der Anfang einer kulinarischen Odyssee, die mich durch die ganze Stadt führen wird.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass das Sättigungsgefühl nach zwanzig Minuten einsetzt. Ich verliere also keine Zeit. Kaufe mir hier etwas, probiere dort etwas, lasse mich nur von meinen Sinnen leiten. Hier mal etwas Fleischiges, dort mal etwas Vegetarisches. Zwischendurch einen Pfefferminztee zum Runterspülen. Als Nachtisch frische Erdbeeren, Datteln und Gebäck das zur Hälfte aus Zucker und zur anderen aus Butter zu bestehen scheint.
Ich bin völlig überfressen, noch bevor das Sättigungsgefühl überhaupt eine Chance hat seinen Dienst anzutreten. Es ist nicht so, dass ich nichts mehr essen will, aber die körperlichen Kapazitäten, die mir mein Magen vorgibt, haben schlicht und ergreifend ihre Grenzen erreicht. Oder, um es in den Worten Homer Simpsons zu sagen: Mein Bauchnabel ist kurz davor, sich von innen nach außen zu wölben.
Das war’s.
Ich muss an Mr. Creosote aus Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ denken, der so vollgegessen ist, dass er nach dem Verzehr eines Pfefferminzbonbons einfach platzt und muss sagen, dass die Szene mir nie so realistisch erschienen ist wie in diesem Augenblick.
Ich beginnen meinen bis zum Kehlkopf gefüllten Körper durch die Straßen zum Verdauungsspaziergang zu wuchten.
Weit komme ich nicht.
Ich glaube eigentlich nicht an solche Dinge wie Schicksal, aber in genau dem Augenblick, ich dem mich der Gedanke nicht mehr loslässt, dass ich wahrscheinlich nie wieder etwas essen werde können, entdecke ich über meinem Kopf ein rostiges Schild, das leicht knarrend im Wind schaukelt und das vom simpel wie verführerischen Wort „Camelburger“ geziert wird.
Wie hättet ihr gehandelt?
Ich kann nicht widerstehen.
20 Minuten später
Ich trete an die frische Luft. Mir ist etwas schwindelig. Mein Körper scheint noch etwas unschlüssig darüber zu sein, was er als nächstes tun soll: beginnen zu verdauen, oder kollabieren.
Um es kurz zu fassen: der Burger war gut. Verdammt gut. Und groß. Und gut.
Ich habe mich noch nie zuvor so schlecht und gleichzeitig so gut gefühlt, denke ich, während ich mit einem schmerzhaften Lächeln den Laden verlasse und versuche meine Kameratasche so zu schultern, dass der Gurt meinen Bauch nicht berührt, der sich in eine solide Kugel verwandelt hat.
Ich bereue nichts!
Im nächsten Teil:
Kamelburger, warum nicht! Nur mit dem zu viel auf einmal Essen habe ich zu schlechte Erfahrungen gemacht. Das wage ich mich nicht wieder! Fez hat mich beeindruckt. Es ist wie eine andere Welt, die vielen kleinen Gassen. Schnell hat man sich verlaufen. Die Geräusche, Gerüche und zahlreichen Sinneseindrücke. Fez war für mich die fesselnste Stadt Marokkos.
Ich mag deinen Schreibstil, schön zu lesen. Da fühle ich mich mittendrin.
Liebe Grüße
Renate
LikeLike