Heidenau ist überall

Die Geschehnisse im sächsischen Heidenau werfen einen Schatten auf das Land. Sie zerstören das fragile Bild eines weltoffenen Landes, das sich Deutschland Stück für Stück erarbeitet hat, nachdem es Jahrzehnte mit den Nachwirkungen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Dritten Reich zu kämpfen hatte. Von »Dunkeldeutschland« spricht Bundespräsident Gauck. Von Ostdeutschland als Wallfahrtsort für »rechtes Pack«, sprechen andere. Doch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind kein rein ostdeutsches Problem. Heidenau ist überall.

Nicht nur im Osten. Auch im Westen, im Süden und ja, auch im Norden. Nicht nur dort, wo Flüchtlingsheime brennen und Rechtsradikale mit ihrem blinden Hass und menschenverachtenden Parolen hetzen. Heidenau ist überall da, wo Menschen, die alles verloren, Terror, Gewalt und Krieg miterlebt haben und unter katastrophalen Umständen aus ihrer eigenen Heimat vertrieben wurden aufgrund von Vorurteilen diffamiert und verleumdet werden. Es ist überall dort, wo Menschen mit einer anderen Hautfarbe, Religion oder Staatszugehörigkeit Hass und Verachtung entgegengebracht werden.

Überall, wo Leute Sätze sagen wie »Ich bin kein Nazi, aber…«, oder »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« und überall dort, wo Volksverhetzung zum Stammtischgeplauder und Fremdenfeindlichkeit zum gesellschaftlichen Konsens deformiert wird. Überall, wo Frauen mit Kopftüchern im Supermarkt komisch angeguckt werden, oder die Straßenseite gewechselt wird, wenn einem eine Gruppe ausländischer junger Männer entgegenkommt. Wo Mitmenschen mit dunkler Hautfarbe nicht zum Tanzen in den Club gelassen oder zumindest vorher besonders gründlich kontrolliert werden. Überall, wo Menschen mit ausländisch klingenden Vornamen diskriminiert werden, sei es am Arbeitsplatz oder in der Schule. Überall, wo Migrationshintergrund als Negativkriterium bewertet wird und überall dort, wo sich Nazis als besorgte Bürger tarnen.

Dabei ist die Ursache dieses Hasses sogar teilweise nachvollziehbar, wenn auch nicht gerechtfertigt: Furcht. Furcht vor dem Unbekannten, Furch vor der vermeintlichen Existenzgefährdung durch Fremde. Diese Furcht allerdings lässt sich aber nicht durch Aggressionen bewältigen, sondern nur durch den Abbau von Vorurteilen und durch die aktive Auseinandersetzung mit einem Thema, dass sich weder durch Gewalt noch durch Wegschauen lösen lässt.

Deutschland ist selbst Flüchtlingsland. Fast 14 Millionen Deutsche mussten als Folge nationalsozialistischer Kriegsverbrechen in Osteuropa vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutsches Reichs fliehen. Fast vier Millionen Deutsche flohen auch bis zur Wiedervereinigung aus der DDR.

Es wird Zeit zu beweisen, dass wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben.

Der anhaltende Flüchtlingsstrom stellt nicht nur Deutschland, sondern die Welt vor Herausforderungen, die nur gemeinsam gemeistert werden können. Im Großen wie im Kleinen. Wie groß die Bereitschaft hierfür innerhalb der Bevölkerung ist, zeigt die Arbeit von unzähligen Bündnissen und Initiativen die ein Zeichen setzen, Willkommenskultur leben und den Menschen helfen wollen, die alles verloren haben. Das zeigen auch spontane Hilfsaktionen, wie sie seit Montag am Münchner Hauptbahnhof organisiert werden und bei denen fast mehr Helfer als Flüchtlinge vor Ort sind.

Was aktuell in Heidenau und anderen Teilen Deutschlands geschieht, ist daher weder repräsentativ für die Gesellschaft, noch hat es in irgendwelcher Weise Auswirkungen auf die Gesamtsituation.

Die Welt ist bunt, Deutschland ist bunt. Und auch Heidenau ist bunt, das bewies zuletzt das Willkommensfest in der sächsischen Kleinstadt.

Es wird Zeit, für jeden Einzelnen Farbe zu bekennen.

4 Gedanken zu “Heidenau ist überall

  1. Hej, Lennart, dein Artikel gefällt mir gut! Auf Deutsch und auf Dänisch! Ich wünsche mir ein weltoffenes Deutschland und freue mich über ein buntes Flensburg.
    Elisabeth Nierth

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  2. „Deutschland ist selbst Flüchtlingsland.“ – das vergessen viele Deutsche mit oft ausländisch klingenden Namen. Die sollten mal lieber mit ihren Grosseltern reden, solange sie noch können. Meine Mutter war 10, als der Krieg vorbei war. Sie hat viel zu erzählen von den Flüchtlingstrecks, die durch ihr Dorf in Deutschlands Osten kamen, in dem auch ich aufgewachsen bin. Mein Grossvater war in Kriegsgefangenschaft, er redete nicht gern darüber. Meine Schwiegeromi erzählte oft von ihrer eigenen Flucht mit ihren 4 Kindern gegen Kriegsende vor den Russen aus einem brandenburgischen Dorf bei Seelow. Der Kinderwagen des Jüngsten blieb im Strassengraben zurück, weil sie alle sonst nicht mit auf den Lkw gedurft hätten. Und der Papa war im Krieg. Wenn ich solche Geschichten höre, ist mir klar: JEDER Krieg auf dieser Welt ist überflüssig! Fremdenhass ändert gar nichts an der Situation, ausser sie schlimmer für alle zu machen.

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