Marokko Teil 1 – Marrakesch, oder: Auf den Spuren eines Groupies

Norden, Ostfriesland

Uschi Obermaier lächelt mich an und ich lächele zurück.

Die ehemalige Kommune 1-Bewohnerin ist mit über 60 nicht minder attraktiv als mit 20, denke ich mir. Wenn ich in ihrem Alter so aussehen würde, könnte ich mich glücklich schätzen. Im gleichen Moment fällt mir auf, was für eine schwachsinnige Aussage das ist.

Ich gucke gerade Arte (Ok, ich gucke ZDF… ) und sie moderiert eine Doku über den sogenannten Hippie-Trail, auf dem in den 60er und 70er Jahren Tausende von Blumenkindern in Scharen von Spanien bis nach Goa pilgerten.

Gerade steht das Ex-Groupie auf einem arabischen Marktplatz zwischen Kamelen, Schlangenbeschwörern und kleinen Buden mit allem Anschein nach sehr geilem Essen. Ich frage mich, wo genau sie sich befindet. „Ich befinde mich auf dem Platz der Gehenkten in Marrakesch, dem Djemaa el Fna“, antwortet sie mir im nächsten Satz, läuft durch die kleinen Gässchen zwischen den Essensständen, probiert hier und dort etwas und schaut mit reichlich Sicherheitsabstand den Schlangenbeschwörern zu.

Ich folge Uschi noch etwas um die Welt, ihr nächstes Ziel ist Indien, aber gedanklich bin ich immer noch auf dem marokkanischen Marktplatz. Gedanken, die mich auch am nächsten Tag nicht loslassen, sodass ich schließlich dem Fernweh nachgebe.

Ein Anruf bei meinem Chef mit der Aussage, dass ich den nächsten Monat weg bin und etwas Rumgeklicke auf verschiedenen Last-Minute-Seiten später und der Flug nach Marrakesch ist gebucht.

Drei Tage später sitze ich im Flieger nach Marokko.

Marokko

StepMap Marokko

 

Als ich ausgecheckt, mein Gepäck vom Band gehievt habe und den Flughafen verlasse, merke ich, dass ich mich vielleicht doch etwas besser hätte vorbereiten sollen: Ich habe keine Ahnung, wo ich hin soll/will.

Ich steige also einfach ins nächste Taxi, das, abgesehen vom Taxi-Schild auf dem Dach, nicht wirklich so aussieht, als könnte es tatsächlich Menschen befördern, werfe mein Gepäck auf die zerschlissene Rückbank und sage freundlich zum Fahrer:

„Einmal nach Marrakesch, bitte“

„Wir sind in Marrakesch“, antwortet der Taxifahrer in gebrochenem Englisch, nicht ganz so freundlich wie ich.

„Ach so… Wo kann man denn hier günstig übernachten?“

„Überall, wie gesagt, wir sind in Marrakesch“, sagt er, noch einen Tick unfreundlicher.

„Ah…ok… dann ins Zentrum?“

„Wohin im Zentrum? Djemaa el Fna?“ (Jetzt ganz und gar ohne einen Funken Freundlichkeit)

„Ist das das mit den Schlangen und Kamelen und dem geilen Essen und so?“

„Ja“

„Djemaa el Fna it is!“, sage ich, immer noch freundlich und denke an Uschi Obermaier.

Rumpelnd setzt sich das Taxi in Bewegung und der Fahrer grummelt irgendetwas auf Arabisch vor sich hin.

Der Wagen macht beängstigende Geräusche und das Getriebe knarrt und knackt bei jeder Kurve. Die Federn der durchgesessenen Sitze stechen mir in den Rücken und wo wir auch lang fahren, hinterlassen wir eine Wolke bläulichen Qualms.

Wir holpern über enge Sandstraßen, entlang an sandfarbenen Häusern, einige von ihnen versteckt hinter sandfarbenen Mauern. Auf den Gehwegen drängeln sich Menschen in sandfarbenen Jelabas mit spitzen Kapuzen (Eine Mischung aus Bademantel und der Uniform des Ku-Klux-Klan der Sandleute aus Star Wars).

Beige scheint auch nach über 1000 Jahren noch DIE Trendfarbe in Marrakesch zu sein.

Nach rund 20 Minuten schmeißt mich der Taxifahrer am großen Marktplatz von Marrakesch raus. Sofort bildet sich eine Traube Menschen um das Taxi. Ich bin noch gar nicht wirklich ausgestiegen, als sie mir schon mit irgendwelchen Sachen vor meinem Gesicht herumwedeln, wie Halsketten, Sonnenbrillen und Regenschirmen (Anmerkung: Wir befinden uns nach wie vor in Marrakesch, unweit der Sahara).

Ich kämpfe mich, bepackt mit meinem Rucksack, meiner Kameratasche und meinem Beutel mit Proviant aus der Menge, nur, um in der nächsten Traube zu landen. Auch hier das gleiche Spiel. Ein Mann mit Turban legt mir sogar eine verdammte lebendige Kobra (!) um den Hals.

Während ich mich etwas fühle wie in einer schlechten Indiana Jones – Parodie, und versuche, die scheiß Schlange von meinem Hals zu entfernen ohne sie oder ihren Besitzer zu verärgern, schaffe ich es schließlich mich zu befreien.

Endlich kann ich mich umsehen. Von überall steigt Dampf aus den mobilen Küchen auf, die eng an eng auf dem gesamten Platz stehen und diesen einhüllen in einen Geruchscocktail aus Kardamom, Kümmel, Anis und allen Möglichen anderen exotischen Gewürzen.

Das Zischen des heißen Öls, das Hacken des Gemüses und Klirren des Geschirrs an den einzelnen Ständen wird nur übertönt durch die Rufe der Verkäufer, die versuchen ihre Waren so laut darzubieten, dass sie ihre Kontrahenten übertönen. Zwischen ihnen tummeln sich Hütchenspieler, Gaukler, Wahrsagerinnen, TänzerInnen und eine Handvoll anderer Touristen, die genauso verloren wirken wie ich.

Kaum habe ich mich jedoch einmal im Kreis gedreht, um mir einen Überblick zu verschaffen, scheint eine Gruppe Berber in bunten Gewändern mich bemerkt zu haben und bewegt sich laut rufend und wild gestikulierend auf mich zu, ausgerüstet mit Rasseln, eine Trompete und abermals: einer Schlange. Sogar von Weitem kann ich die Euro-Zeichen in ihren Augen sehen. Ich beschließe zu flüchten und schlage mich durch die Masse hindurch in eine der Seitenstraßen, weg vom Djemaa el Fna.

Ein Fehler. In dem Moment, in dem der Marktplatz mit seinen Fressbuden, Schlangenbeschwörern und Trickbetrügern  hinter mir verschwindet, habe ich mich bereits verlaufen.

Wenn ich dachte, dass es abseits des Platzes ruhiger  ist, habe ich mich getäuscht, im Gegenteil ist die Menge durch die Enge der Gassen sogar noch komprimierter. Ich laufe trotzdem einfach immer weiter. Die Aushänge der dicht an dicht gedrängten Läden jeglicher Art und Größe ragen weit in die Straße hinein, sodass ich das ein oder andere Mal mit meinem Kopf gegen im Weg herumbaumelnde Teekannen oder andere schmerzhafte Gegenstände stoße.

Komplett in Burkas verhüllte Frauen schieben sich an Touristinnen in Hot Pans und Gucci-Sonnenbrillen vorbei, dickbäuchige Männer, deren bleiche Beine aus khakifarbenen Jack-Wolfskin-Dreiviertelhosen hervorgucken, versuchen die penetranten Verkäufer am Straßenrand verzweifelt auf denglisch/franzrabisch davon zu überzeugen, dass sie eigentlich gar nichts kaufen, sondern nur einmal schauen möchten.

Ich versuche krampfhaft den Blicken der Händler auszuweichen, um nicht in die gleiche Falle zu tappen.

Ich habe keine Ahnung wo ich mich befinde und halte, mittlerweile schon ein wenig verzweifelt, Ausschau nach einer Bleibe, denn zumindest meine erste Nacht möchte ich ungern auf der Straße verbringen.

Es wird langsam dunkel und mein Rucksack scheint immer schwerer zu werden. Ich blicke im vorbeigehen zu einem Esel, der mit Körben voller Gewürze und Decken bepackt auf der Straße steht und mich verständnisvoll anblickt.

Nach einigen weiteren Minuten des ziellosen Herumirrens kommt ein kleiner Junge auf mich zu, lacht mich an und fragt, wo ich herkomme. „Aus Deutschland“, sage ich auf Englisch. „Guten Tag“, sagt er auf Deutsch und „Danke“ und „Hitler“. Ich bin kurz verwirrt und frage ihn, ob er ein Hotel in der Nähe kennt.

„Yes, yes“, sagt er, diesmal auf Englisch, da sein deutscher Wortschatz verbraucht zu sein scheint, und zeigt auf meine Hose. Ich gucke ihn an, krame einen Zwanzig-Dirham-Schein aus meiner Hosentasche (ungefähr 2 Euro) und sehe an seinem Blick, dass ich die Geste richtig gedeutet habe. Er dreht sich im Stand um, packt meine Kameratasche und zieht mich hinter sich her durch die scheinbar immer enger zu werdenden Gassen der Souqs, dem kulturellen Nabel der Stadt und dem zentralen Dreh- und Angelpunkt für Einheimische wie Touristen gleichermaßen. Junge Männer feilschen hier um ein paar lebende Hühner, alte Männer trinken Tee und spielen Schach, kleine Jungen spielen Fußball, kleine Mädchen kaufen mit ihren Müttern Gemüse.

Ich gebe den Versuch schnell auf, mir den Weg merken zu wollen und irgendwann führt der Junge mich durch eine unscheinbare Tür in die Vorhalle eines noch unscheinbareren Hotels.

Ich wundere mich kurz, wie der kleine Junge das Gebäude gefunden hat, bis ich merke, dass er zum Hotel gehört. Er verschwindet durch eine Tür im hinteren Teil des Gebäudes, während ich zum Besitzer an den Tresen gehe und einchecke.

Mehrbettzimmer, Dusche im 1. Stock, Frühstück bis zehn, sagt er mir auf französisch (Glaube ich zumindest, denn mein Gehirn war schon zu Schulzeiten nicht wirklich kompatibel mit dieser Sprache). Ich nicke nur, kralle mir den Schlüssel und wuchte mich und mein Gepäck die Treppen zu meinem Zimmer hinauf.

Völlig geschafft werfe ich meinen Rucksack in die Ecke.

Mein Hemd klebt an meinem Körper, obwohl es eigentlich gar nicht so heiß ist und das Blut rauscht in meinen Ohren. Wie mit Tunnelblick schaue ich durch die milchig-trüben Fenster auf das Treiben der Straße.

So fühlt sich also ein Kultur-Schock an.

Ich beschließe zu tun, was ich immer in solchen oder ähnlichen Situationen zu tun pflege: Tee trinken.

Kurz vor dem Hotel habe ich zwischen all den vorbeihastenden Menschen ein Schild gesehen, auf dem in verwitterter Schrift „Salon du thé“ geschrieben stand. Und tatsächlich, nach etwa fünf Minuten finde ich den kleinen Tee-Salon, versteckt zwischen einem Geschäft das nur, und mit „nur“ meine ich AUSSCHLIEßLICH, Datteln verkauft und einem Souvenirshop, der, außer Datteln, ALLES verkauft.

Der kleine Tee-Salon ist mir auf Anhieb sympathisch. Spartanisch eingerichtet versprüht er trotzdem einen ganz eigenen Charme. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit kann ich in Ruhe durchatmen. Ich bestelle mir einen Pfefferminztee, bestehend aus frischen Minzblättern, etwas grünem Tee und einer, sogar für ostfriesische Verhältnisse, unverhältnismäßig hohen Menge Zucker.

Zwei oder drei Tassen Tee später, und zum Kultur- gesellt sich ein Zucker-Schock.

In der Ferne ertönen die Rufe des Muezzins vom Minarett, der zum Abendgebet ruft. Kurze Zeit später höre ich, wie sich andere Gebetsrufer aus verschiedenen Richtungen in den Gesang einreihen. Eine Handvoll der Gäste steht auf und macht sich auf den Weg zur Moschee.

Ich bestelle eine neue Tasse Tee, atme tief durch, versuche den Wirrwarr in meinem Kopf zu ordnen und frage mich zum ersten Mal, ob ich die ganze Sache nicht etwas zu blauäugig angegangen bin.

Der Ruf der Aale bei Facebook

Im nächsten Teil:

Die Sahara – Erster Akt

6 Gedanken zu “Marokko Teil 1 – Marrakesch, oder: Auf den Spuren eines Groupies

  1. Du schreibst SUPER! Was für ein Lichtblick zwischen den ganzen Mich-hat-das-Fernweh-gepackt- und-ich-reise-ja-so-gern -BloggerInnen… Eben doch ein Unterschied, wenn man Journalist ist und auch noch Talent hat, bravo!
    LG, Britta

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